Frieden, Freiheit, Fahrradwege 28. März 202428. März 2024 Auch wenn es nicht das Wichtigste ist: Die EU bringt tatsächlich bares Geld! 825 Mio. Euro investiert Europa allein in Schleswig-Holstein in fast 4500 Projekte. Aber so richtig bemerkt wird das kaum. Genauso wenig wie all die Erleichterungen, wie etwa freies Reisen innerhalb der EU. Oder in jedem Mitgliedsland arbeiten, medizinisch versorgt oder sich seine Rente auszahlen lassen zu können. Dringend Zeit, ein Hoch auf Europa anzustimmen! Noten dazu gibt’s hier: Im Gespräch mit MdL Eka von Kalben, Landtagsvizepräsidentin in SH und Mitglied im Ausschuss der EU-Regionen und Katrin Stange, Sprecherin des Ortsverbands Uetersen im Kreis Pinneberg. Ein freies und friedliches Europa ist keine Selbstverständlichkeit. Darum: Geht wählen! Eka von Kalben, Vizepräsidentin des Landtags Schleswig-Holstein Katrin Stange: „Wie cool, dass es die EU gibt!“: Wann hast du das schon mal gedacht? Eka von Kalben: Gerade neulich, als ich meine Enkelkinder in Brüssel besucht habe. Sie leben dort für einige Jahre mit ihren Eltern und haben so irre viele Möglichkeiten, tolle Dinge zu erleben und zu lernen. Das ist großartig! Gutes hört man aus Brüssel ja eher selten. Glyphosat, GEAS, Korruptionsaffären, Mitgliedsländer, die auf der Veto-Bremse stehen – so viele Frustmomente. Die gibt es nicht nur bei den großen Themen. Auch im politischen Alltag stoße ich auf der Suche nach Lösungen immer wieder auf Hindernisse. Das ist oft wie in einem dichten Gestrüpp. Nirgendwo ist Licht, immer wieder hängen Dornen im Weg, die zum Umweg zwingen. Da kann man sich leicht verirren. Wo bleibt da die Motivation? Gerade in Frustmomenten steigt meine Motivation eher noch. Wer wenn nicht wir? Wer rettet dieses Haus, das andere einreißen wollen?! Ich fühle mich dann wie eine Hausbesetzerin mit einem großen, kompetenten Sanierungsteam an meiner Seite. Das gibt enorm Kraft, Energie und Durchhaltewillen auch in zähen, schwierigen Zeiten. Was genau machst du im Ausschuss der Regionen, in dem du ganz allein unser Bundesland Schleswig-Holstein vertrittst? Der Ausschuss ist so etwas wie der deutsche Bundesrat, nur leider ohne Vetorecht. Wir nehmen Stellung zu den Vorschlägen der Kommssion, die wiederum so eine Art EU-Regierung ist. Diese Stellungnahmen werden aufmerksam gelesen und manchesmal auch berücksichtigt. Klingt nicht sonderlich ermutigend… Stimmt. Gewinnbringender ist der Austausch sogenannter „Beste Practice“-Beispiele, also Ideen und Projekte, die in einigen Regionen schon gut funktionieren und die sich übertragen lassen. Besonders im Bereich Klimawandel und Schutz vor dessen Folgen gibt es coole Ideen, von denen wir lernen können. Zum Beispiel? Der Fischer an der Westküste Schleswig-Holsteins fragt sich ja genauso wie der in der spanischen Provinz Galizien, wie er bei schwindenden Fischbeständen wirtschaftlich überleben soll. Aus diesen gemeinsamen Erfahrungen heraus formulieren wir dann unsere Forderungen an die Kommission, etwa die industrielle Fischerei auf hoher See einzuschränken. Was bringt denn mir persönlich die EU? Erst einmal ein Leben in einem friedlichen, freiheitlichen Europa – das ist ein riesiger Vorteil gegenüber fast allen Regionen der Welt. Den nehmen wir aber zu oft als selbstverständlich wahr. Unsere friedliche, freiheitlich demokratische Grundordnung ist ein echtes Pfund und auch der Grund, warum Europa ein Sehnsuchtsort für viele Menschen ist, die dafür sogar die lebensgefährliche Reise zu uns auf sich nehmen. Was man seit gefühlter Ewigkeit hat und gar nicht anders kennt, ist schwerlich wertzuschätzen. Ja. Das ist menschlich. Trotzdem müssen wir das ja erst einmal anerkennen. Ein Blick in die nicht mal zwei Flugstunden entfernte Ukraine zeigt, wie schnell sich das ändern kann. Gibt es weitere Pluspunkte? Aber ja! Zum Beispiel, die imensen wirtschaftlichen Vorteile. Unser Wohlstand wäre ohne den großen europäischen Markt mit seinem Freihandel und den relativ stabilen Preisen gar nicht möglich. Genauso wenig wie die vergleichsweise gute Versorgung mit Hilfsmitteln und Medikamenten. Zum Vergleich: Menschen in der nicht zur EU zählenden Türkei geht es finanziell und wirtschaftlich wesentlich schlechter als uns. Wie zahlt sich das für uns hier vor Ort im Kreis Pinneberg in den Kleinstädten und Gemeinden aus? Gerade der ländliche Raum profitiert ungemein von den Programmen der EU, die auf die strukturelle Entwicklung abzielen. Gemeinden und Städte können Fördermittel für die unterschiedlichsten Projekte beantragen, sei es für neue Radwege, die energetische Sanierung von Sporthallen, Unterstützung von Kultureinrichtungen oder die Einrichtung eines sozialen Treffpunktes für die Menschen vor Ort. Dank des Green Deals wird intensiv in Natur- und Klimaschutzprojekte investiert. Aber auch Unternehmen können Finanzmittel erhalten, wenn sie z. B. neue Arbeitsplätze schaffen, oder sich im Klimaschutz auf den Weg machen. genauso wie landwirtschaftliche Betriebe, die durch die Agrarmittel unterstützt werden und das besonders auch, wenn sie sich auch für die Umwelt engagieren. Ein weiterer Vorteil ist doch sicher der freie Arbeitsmarkt… Aber ja! Stichwort Fachkräftemangel. Handwerksbetrieben beispielsweise ist es möglich, Arbeitnehmer*innen aus anderen EU-Ländern anzuwerben und einzustellen. Aber auch, Aufträge aus anderen Mitgliedsländern an Land zu ziehen. Leider ist das immer noch mit sehr viel bürokratischem Papierkram verbunden. Da müssen wir ran! Arbeiten ist das eine. In jedes Land der EU unkompliziert reisen und dort auch leben zu dürfen, empfinde ich persönlich als riesige Chance – vor allem für ein verständnisvolles tolerantes Miteinander in angespannten Zeiten. Das sehe ich genauso. Und erlebe das ja auch bei meinen eigenen Enkelkindern. Wir, unsere Kinder und Enkelkinder können sich dank der EU weit geltenden Menschenrechten frei entfalten und leben, wo immer sie wollen. Dieses berühmte „über den Tellerrand blicken“ bringt Verständnis und Toleranz für andere Lebensgewohnheiten und kann für uns und unsere Geselleschaft als Ganzes nur ein Mehrwert sein. Was man kennt, sich vertraut gemacht hat, toleriert, kann man schwerlich hassen. Bei den anstehenden Wahlen am 9. Juni droht auch das EU-Parlament mehrheitlich weiter an den rechten Rand zu rutschen. Was tust du persönlich gegen den Ruck in Richtung Rechstextrem? In erster Linie gut zuhören. Ich bin viel in Schleswig-Holstein unterwegs und treffe dort die Menschen in Betrieben, an Schulen und Kindertagesstätten, in sozialen und medizinischen Einrichtungen. Da herrscht bei vielen enorme Unsicherheit, wie alles weitergeht. Für diese Menschen und ihre Sorgen braucht es ein großes, offenes Ohr. Aber auch eine klare Haltung, wenn simple Parolen als Lösungen für komplexe Problemstellungen herhalten sollen. Das heißt: nachfragen, geraderücken, in den Zusammenhang stellen. Das kann übrigens jede*r von uns. Ständig. Am Arbeitsplatz, beim Sport, in der Familie oder Nachbarschaft. Und auf eine der Demos gehen, die seit Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen Mitte Januar Hundertttausende bundesweit auf die Straßen treiben. Ja, sicher. Das ist sehr wichtig. Hier zeigen die Menschen Gesicht und bestärken sich gegenseitig. Manche von ihnen gehen zum ersten Mal in ihrem Leben auf eine Demo. Diese breite Untersützung auch von der bisher sich im Privaten aufhaltenden, häufig genannten „schweigenden Mehrheit“ der Gesellschaft: Das ist vor allem in den kleinen Städten und Gemeinden in den Ost-Bundesländern so wichtig, wo sich alle kennen. Und wissen, wer der rechtsextremen Szene zuzuordnen ist. Mit allen damit einhergehenden Beeinträchtigungen und Gefahren für das persönliche Leben. Wenn du auf den Brüssler Fluren einem oder einer Vertreter*in der italienischen Regierung der Postfaschistischen Giorgia Melonie oder des ungarischen Autokraten Victor Orban begegnest: grüßen, Tür aufhalten – ja oder nein? Ich halte es so wie mein Kollege im schleswig-holsteinischen Landtag Lars Harms vom SSW, der mal sagte: „Ich lasse mir von der AfD nicht meine Höflichkeit nehmen und gebe auch ihnen die Hand zur Begrüßung. Lächeln muss ich dabei nicht.“ Gerade die AfD hat enorm hohe Einschaltquoten in den digitalen sozialen Netzwerken. Besonders bei TikTok versuchen Abgeordnete und rechtsextreme Influenzer gezielt junge Köpfe zu erreichen. Wie stehst du dazu, dass das Wahlalter in Deutschland für die EU-Wahlen von 18 auf 16 Jahre gesenkt wurde? Ich finde das sehr gut. Viele junge Menschen machen sich Gedanken über ihre Zukunft und übernehmen schon früh Verantwortung – auch ehrenamtlich in Vereinen, Organisationen oder Parteien. Viele beginnen bereits ihre Berufsausbildung. Warum sollten sie nicht über ihre Gegenwart und Zukunft mitbestimmen dürfen? Sollten sie unbedingt. Aber wie kann man sie davor bewahren, extremistischen Parolen auf den Leim zu gehen? Genauso wie die Älteren: Informiert euch nicht nur im Netz – und wenn doch, dann auf unterschiedlichen Kanälen. Sprecht darüber mit Freund*innen, in der Familie und seid immer bereit, eure eigene gefasste Meinung immer wieder zu überdenken und zu korrigieren. Vor allem aber: Geht wählen! Ein freies und friedliches Europa ist keine Selbstverständlichkeit! Hast du einen persönlichen Wunsch an die EU? Oh ja! Ich wünsche mir mehr internationale Nachtzugverbindungen. Das wäre für mich als Politikerin, die viel in Europa unterwegs ist, eine riesige Erleichterung. Die Gesprächspartnerinnen Eka von Kalben, geboren 1964 in Borstel-Hohenrade im Kreis Pinneberg, ist Diplomverwaltungswirtin und seit 12 Jahren Abgeordnete für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Kieler Landtag. Seit 2022 ist sie Vizelandtagspräsidentin und Mitglied des Ausschusses der Regionen in der EU. Damit vertritt sie allein die Interessen Schleswig-Holsteins in Brüssel. Zuvor war sie Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für KiTa und frühkindliche Bildung. Eka spricht Deutsch und Englisch und macht in ihrer Freizeit am liebsten Musik mit ihrem Cello. Katrin Stange, geboren 1973 in Hamburg, ist Historikerin und Dozentin für Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Bis 2009 hat sie als Redakteurin der BILD am Sonntag in Hamburg und Berlin gearbeitet. Seit 2020 ist sie Ortssprecherin der Grünen in Uetersen und dort in der Ratsversammlung stellvertretende Fraktionsvorsitzende mit den Schwerpunkten nachhaltige Stadtentwicklung, Mobilitätswende und Integration. Leidenschaften: Singen, Häkeln, Italien, Counterspeech und Antifaschismus! WTF – What To Förder?! 825 Millionen Euro investiert die EU aktuell allein in Schleswig-Holstein in rund 4500 Projekte, zum Beispiel in die Modernisierung von Dorfzentren mit Angeboten für Jung und Alt oder in die Entwicklung naturbasierter Lösungen zum Schutz der nordfriesischen Halligen vor dem steigenden Meeresspiegel. Für die Förderperiode 2021 bis 2027 wurden dafür in Brüssel Finanztöpfe gefüllt wie etwa der EFRE, der Europäische Fonds für regionale Entwicklung. An den Verhandlungen war der SH-Kandidat für die anstehenden EU-Parlamentswahlen und Haushaltspolitiker Rasmus Andresen, Flensburg, maßgeblich beteiligt. Aus diesen Fördertöpfen wiederum schnürt die Landesregierung in Kiel Finanzpakete für die Kreise und Kommunen, zum Beispiel für die nachhaltige und klimaresiliente Umgestaltung von Stadtgebieten und Straßenräume, die für alle Verkehrsteilnehmenden Platz und Sicherheit bieten und damit zur Beruhigung und einer höheren Lebensqualität beitragen, oder einfach Geld zur Finanzierung für den Ausbau von Fahrradwegen und Anlehnbügeln. Somit profitieren wir alle gemeinsam von den Geldern aus Brüssel. Geld gewünscht? Dann hier entlang! Infos zu den Förderprogrammen https://www.eu-info.de/europa-punkt/ https://www.eu-info.de/foerderprogramme/strukturfonds/EFRE/ https://www.schleswig-holstein.de/DE/fachinhalte/F/foerderprogramme/MWAVT/efre2021_2027_Info.html https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/themen/wirtschaft/foerderprogramme-eu/foerderprogramme-eu_node.html